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BFH: Erweiterte unbeschränkte Schenkungsteuerpflicht ist verfassungsgemäß, Urteil vom 12. Oktober 2022, II R 5/20

ErbStG § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 2 Abs 1 Nr. 1 Satz 2 lit. b), GG Art 3 Abs. 1, AEUV Art 63 Abs. 1, EGFreizügAbk CHE Art 2,

 

1.     Die erweiterte unbeschränkte Schenkungsteuerpflicht verletzt nicht den allgemeinen Gleichheitssatz i.S. des Art. 3 Abs. 1 GG.

2.     Die Regelung bewirkt auch keinen Verstoß gegen die unionsrechtliche Kapitalverkehrsfreiheit.

 

Vorinstanz: FG München, 03.07.2019 - 4 K 1286/18, EFG 2020, 684

 

Mit seinem Urteil vom 12.10.2022 bestätigt der BFH die Auffassung der 1. Instanz (FG München), dass die erweiterte unbeschränkte Schenkungssteuerpflicht, wie diese vom § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1,

§ 2 Abs 1 Nr. 1 Satz 2 lit. b) ErbStG angeordnet ist, weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen die unionsrechtliche Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 Abs. 1 AEUV noch gegen das Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Freizügigkeit vom 30.04.2002 verstößt.


erweiterte unbeschränkte schenkungsteuerpflicht: der Sachverhalt

Mit der Revision greift der Kläger und Revisionskläger das klageabweisende Urteil des FG München an, das die Schenkungssteuerfestsetzung des beklagten Finanzamts zulasten des Klägers bestätigte.

 

Der Kläger und seine Mutter - beide deutsche Staatsangehörige - wanderten im Veranlagungszeitraum 2011 in die Schweiz aus und gaben dabei ihren deutschen Wohnsitz auf. Etwa einen Monat nach dem Wegzug in die Schweiz schenkte die Mutter des Klägers diesem ein in der Schweiz belegenes Grundstück und behielt sich dabei ein sog. lebenslänglichen Nutzniessungsrecht nach Schweizer Recht. Weder die Kläger noch seine Mutter zeigten die Grundstücksschenkung gegenüber der deutschen Finanzverwaltung an.

 

Im Veranlagungszeitraum 2013 verstarb die Mutter des Klägers.

 

Im Rahmen des Erbschaftsteuerverfahrens erfuhr das zuständige deutsche Erbschaftsteuerfinanzamt von der betreffenden Grundstücksschenkung und setzte gegenüber dem Kläger als dem Alleinerben seiner Mutter für die Grundstücksschenkung die Schenkungsteuer fest.

Nachdem das Einspruchsverfahren gegen den Schenkungssteuerbescheid erfolglos geblieben war, rügte der Kläger in der Klage gegen die Einspruchsentscheidung eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG, einen Verstoß gegen die unionsrechtliche Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 Abs. 1 AEUV und eine Verletzung des Diskriminierungsverbots nach Art. 2 des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Freizügigkeit vom 30.04.2002.

 

Das FG München verneinte die gerügten Verstöße und wies die Klage ab. Mit der Revision hielt der Kläger sein Vorbringen in der ersten Instanz aufrecht.


Die Entscheidung des BGH zur erweiterten unbeschränkten  Schenkungsteuerpflicht

In seinem Urteil hat der BFH die Revision des Klägers als unbegründet zurückgewiesen.

 

Nach dem BFH verstößt die erweiterte unbeschränkte Schenkungsteuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 lit. b) ErbStG nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG.

Die Steuerpflichtigen müssen zwar durch ein Steuergesetz gleich belastet werden, so der BFH. Allerdings steht dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der unbeschränkten Steuerpflicht ein weiter Ermessensspielraum zu. Dieser Ermessensspielraum sei nach dem BFH nicht überschritten, wenn der Gesetzgeber die unbeschränkte Steuerpflicht (auch) an die Staatsangehörigkeit anknüpft und dabei auch die Steuerpflicht zeitlich einschränkt. Die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit sei nach dem BFH sowohl international im Abkommensrecht als auch nach deutschem innerstaatlichem Verfassungs- und Steuerrecht anerkannt.

 

Ferner verstoße die erweiterte unbeschränkte Schenkungsteuerpflicht nicht gegen die unionsrechtliche Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 Abs. 1 AEUV. Nach Art. 63 Abs. 1 AEUV sind zwar alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern grundsätzlich verboten. Allerdings hatte der EuGH in Bezug auf eine der deutschen erweiterten unbeschränkten Schenkungsteuerpflicht vergleichbare niederländische Regelung entschieden, dass diese keine Beschränkung der unionsrechtlichen Kapitalverkehrsfreiheit darstellt. Hieraus folgt nach dem BFH, dass auch die erweiterte unbeschränkte Schenkungsteuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 lit. b) ErbStG nicht gegen die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 Abs. 1 AEUV verstoße.

 

Schließlich sei nach dem BFH auch kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nach Art. 2 des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Freizügigkeit vom 30.04.2002 festzustellen. Ein solcher Verstoß könne nach dem BFH nur vorliegen, wenn der maßgebliche Sachverhalt unter die Anhänge I bis III des betreffenden Abkommens fällt. Diese Anhänge beziehen sind nur auf eine erwerbswirtschaftliche Tätigkeit in einem Abkommensland, die nach dem BFH im vorliegenden Fall ersichtlich nicht anzunehmen ist.

 


Praxishinweis zur erweiterten unbeschränkten Schenkungsteuerpflicht

Der BFH hat ausführlich begründet, dass die erweiterte unbeschränkte Schenkungsteuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 lit. b) ErbStG weder gegen das deutsche Verfassungsrecht noch gegen die Unions- und Abkommensrecht verstößt. Allerdings hat weder der BFH noch das erstinstanzliche FG München in ihre Erwägungen eine zentrale Norm des deutschen Verfassungsrechts, nämlich der Vorrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts über das deutsche Recht nach Art. 25 GG, einbezogen.

 

Nach Art. 25 Satz 2 GG gehen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts den Gesetzen vor. Zu solchen allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehört das völkerrechtliche Territorialitätsprinzip, nach dem die Hoheitsgewalt eines Staates nicht über seine Staatsgrenzen reicht. Die Besteuerung der weltweiten Einkünfte eines Steuerpflichtigen (das Welteinkommensprinzip) stellt zwar eine völkerrechtlich anerkannte Durchbrechung des Territorialitätsprinzip dar. Allerdings ist das Welteinkommensprinzip im Ertragssteuerrecht verwurzelt und nicht ohne eine besondere Rechtsfertigung im Bereich der Erbschaft- und Schenkungsteuer anzuwenden. Das gilt insbesondere, wenn sowohl der Steuergegenstand im Ausland belegt wird als auch der Steuerpflichtige außerhalb der Staatsgrenzen des betreffenden Staates ansässig ist. Eine solche besondere Rechtfertigung liefern weder das Gesetz noch der BFH in seinem Urteil.

 

Man kann deshalb hoffen, dass die deutsche erweiterte unbeschränkte Schenkungsteuerpflicht noch Gegenstand einer verfassungsrechtlichen Prüfung vor dem Bundesverfassungsgericht sein wird. Bis dahin können die Betroffenen lediglich den Ablauf des fünfjährigen Zeitraums des § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 lit. b) ErbStG abwarten, bevor sie Wirtschaftsgüter im Ausland verschenken.

 

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