Schuhhändler Deichmann: „Das Unternehmen muss den Menschen dienen“

Von Thorsten Klinkner

 

Die Familie Deichmann, eine der größten europäischen Schuhhändlerdynastien, nutzt die Bandbreite der Einsatzmöglichkeiten der Stiftungslandschaft, nämlich die transgenerationale Erhaltung und Kontrolle des Firmenvermögens über die privatnützige Familienstiftung und das sozial-karitative Engagement über die gemeinnützige Stiftungsstruktur.


Der Schuheinzelhändler Dr. Heinz-Horst Deichmann ist einer der großen deutschen Vorzeigeunternehmer. Der 1926 geborene Mediziner und Theologe war der Sohn des Schuhmachers Heinrich Deichmann, der gemeinsam mit seiner Frau Julie ab 1913 im Arbeiterbezirk Essen-Borbeck im Herzen des Ruhrgebietes ein Schuhgeschäft betrieb. „Zwei Generationen weiter und beinahe hundert Jahre später hat sich das Unternehmen zum Marktführer in Europa entwickelt. Deichmann ist mittlerweile in 26 Ländern mit über 4.053 Filialen vertreten und beschäftigt rund 40.698 Menschen. Der Umsatz belief sich im Jahr 2017 auf rund 5,8 Milliarden Euro. Nach wie vor ist Deichmann ein Familienunternehmen, das Wert auf Wachstum aus eigener Kraft legt. Börsengang und Bankkredite sind für die Inhaber kein Thema“, heißt es auf der Website.

Neben seinen Studien führte Heinz-Horst Deichmann mit seiner Mutter das kleine Familienunternehmen, nachdem der Vater 1940 mit 52 Jahren verstorben war. 1956 gab Heinz-Horst Deichmann seine Tätigkeit als Arzt auf und konzentrierte sich auf die Leitung der Firma, die bereits Filialen in Nachbarstädten wie Düsseldorf und Oberhausen eröffnet hatte. „Deichmann fühlte sich zuständig für die Grundversorgung der Bevölkerung mit guten, preiswerten Schuhen. Ein Unternehmensziel, das bis heute Gültigkeit hat. 1974 eröffnete das hundertste Geschäft in Würzburg. Fast zeitgleich begann die Internationalisierung: Deichmann erwarb in der Schweiz die traditionsreiche Schuhkette Dosenbach“, heißt es weiter in der offiziellen Selbstdarstellung. Das internationale Wachstum hat das Unternehmen vor allem Heinrich Deichmann zu verdanken, dem 1962 geborenen Enkel des Firmengründers. Er trat 1989 ins Unternehmen ein und übernahm 1999 die Position des Vorsitzenden der Geschäftsführung. Heute ist er Vorsitzender des Verwaltungsrates der Deichmann SE. 

SE: Das steht für Societas Europaea, also die Rechtsform der Europäischen Gesellschaft, häufig auch als Europäische Aktiengesellschaft bezeichnet. Mit ihr ermöglicht die EU seit dem Jahresende 2004 die Gründung von Gesellschaften nach weitgehend einheitlichen Rechtsprinzipien. Die SE ist eine Rechtsform für Unternehmen, die in verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union tätig sind oder tätig werden wollen. Sie erleichtert die grenzüberschreitende Kooperation erheblich: Es müssen nicht mehr jeweils in verschiedenen Staaten Tochtergesellschaften nach unterschiedlichem Recht gegründet werden, heißt es bei der Industrie- und Handelskammer Offenbach.

Zugleich ist der 2014 verstorbene Dr. Heinz-Horst Deichmann als großer Wohltäter bekannt. So gründete der praktizierende Christ im Jahr 1977 die sozial-missionarische Organisation „Wort und Tat“, die Notleidende in Indien, Moldawien, Tansania, Deutschland und Griechenland unterstützt. Seit dem Tod des Gründers führen sein Sohn Heinrich Deichmann und die Familie die Arbeit im ursprünglichen Sinne fort – getreu dem Motto: „Gott liebt die Menschen. Wir zeigen es ihnen – in Wort und Tat!“ „Wort und Tat“ wird aus dem Vermögen der 1974 gegründeten Dr. Heinz-Horst Deichmann Stiftung finanziert.

 

wortundtat bringt praktische Hilfe zum Leben oder Überleben vor allem zu den Menschen, die von anderer Hilfe kaum erreicht werden. In vielen Fällen suchen dazu die Helfer die Bedürftigen gezielt auf, um auf das Angebot aufmerksam und es erreichbar zu machen. Schnelle Erfolge sind dabei immer erfreulich. Wo es aber notwendig ist, hat wortundtat einen langen Atem. wortundtat bringt den Bedürftigen Wertschätzung entgegen, gibt ihnen die Chance, von der christlichen Botschaft zu hören und hilft ihnen auf Wunsch, die Bedeutung der Bibel und ihre Inhalte kennenzulernen. Dazu verbinden die Helfer ihre Aktivitäten in den Bereichen Soziales, Gesundheit und Bildung mit dem Reden über Gottes Liebe und über das Versöhnungsangebot, das Jesus Christus allen Menschen macht. Dabei wird die praktische Unterstützung unabhängig von der weltanschaulichen Überzeugung des Bedürftigen geleistet.“ (wortundtat.de)

 

Die Unternehmenskultur der Deichmann-Gruppe ist generell von christlichen Werten geprägt. „Das Unternehmen muss den Menschen dienen: den Kunden, den Mitarbeitern, den Lieferanten und darüber hinaus Menschen, die in unserer Gesellschaft in Not geraten sind, aber auch in Entwicklungsländern“, so formuliert es das Leitbild des Familienunternehmens. 

Weiterhin stellte Deichmann 2005 15 Millionen Euro für die Opfer der Tsunami-Katastrophe in Südasien und weitere Hilfsprojekte in Indien und Afrika zur Verfügung, unterstützte die Ben-Gurion-Universität des Negev in Be’er Scheva (Israel), an der mehrere Gebäude nach ihm benannt sind, und die Konzertreihe „High Potential Classix“, in der sich junge Solisten der Folkwang Universität der Künste gemeinsam mit Gast-Orchestern der Öffentlichkeit präsentieren. Im April 2014 wurde an der Medizinischen Fakultät Essen ein neues Lehr- und Lernzentrum feierlich eröffnet, dessen Hörsaal nach Deichmann benannt wurde. Deichmann unterstützte den 16 Millionen Euro teuren Neubau mit einer größeren Spende. 2001 wurde die Heinz-Horst-Deichmann-Stiftungsprofessur für das Universitätsklinikum Essen zur Erforschung der Atherosklerose eingerichtet.

Aber die Familie Deichmann nutzt das Vehikel der Stiftung nicht nur für gemeinnützige Zwecke. Über die Heinz-Deichmann-Familien-Stiftung in Luzern wird die Unternehmensgruppe kontrolliert, die sich vollständig in der Hand der Familie befindet. Es ist anzunehmen, dass die Anteile der SE der Familienstiftung gehören. Damit zeigt die Familie die Bandbreite der Einsatzmöglichkeiten der Stiftungslandschaft, nämlich die transgenerationale Erhaltung und Kontrolle des Firmenvermögens über die privatnützige Familienstiftung und das sozial-karitative Engagement über die gemeinnützige Stiftungsstruktur. Und das alles ohne großen Auftritt in der Öffentlichkeit.