Neue Anforderungen an Unternehmen heute

„Es ist schlimm genug, dass man jetzt nichts mehr für sein ganzes Leben lernen kann. Unsre Vorfahren hielten sich an den Unterricht, den sie in ihrer Jugend empfangen; wir aber müssen jetzt alle fünf Jahre umlernen, wenn wir nicht ganz aus der Mode kommen wollen.“

Diese Aussage stammt aus dem Jahr 1809 – Goethe hat sie eine der Figuren in seinem Werk „Die Wahlverwandtschaften“ sagen lassen. Goethe scheint schon das „Umlernen“ alle fünf Jahre als Zumutung empfunden zu haben und beklagt, dass es anscheinend in der Jugendzeit kein umfängliches und vollständiges Rüstzeug gibt, das einen für das ganze Leben mit dem nötigen Wissen ausstattet. Stattdessen muss „nachgelernt“ werden.

Diese Feststellung an sich ist also kein Phänomen neuerer Zeit, sehr wohl lohnt es sich allerdings, die fünf Jahre einmal kritisch unter die Lupe zu nehmen und die Schlussfolgerungen für Unternehmen zu betrachten. Denn ein Zeitraum von fünf Jahren ist mittlerweile lang genug, um einen Weltkonzern in den Konkurs zu verfrachten, wenn er nicht „ganz aus der Mode kommen“ will – so gesehen bei Nokia, wo die Smartphone-Entwicklung einfach verschlafen bzw. falsch angegangen wurde. Man hat nicht gelernt, nicht schnell genug, die falschen Schlussfolgerungen gezogen oder aus Fehlern nicht schnell genug gelernt.

 

Selten in den letzten 100 Jahren hat es für Unternehmen mehr Anlässe gegeben, sich zu verändern: Der technische Fortschritt macht uns atemlos, Schlagworte wie Digitalisierung oder Industrie 4.0 sind in aller Munde. Die überall gegenwärtige Vernetzung lässt uns den Durchblick verlieren und Unternehmen müssen sich stets mehr Mühe geben, den Anschluss nicht zu verpassen. Auch die Geschwindigkeit, in der die Welt sich immer schneller zu drehen scheint, hält Unternehmen auf Trab. Auch gesamtgesellschaftliche Entwicklungen sind Anlässe, sich zu verändern. Der demografische Wandel beinhaltet immense Veränderungen für Unternehmen – allein der Weggang der „Babyboomer“-Generation in die Rente wird für viele Unternehmen zum Risiko, denn mit der Person geht das Wissen. In der Summe sind die Anforderungen enorm gewachsen. In so komplexen Zeiten ist es schwierig, eine Richtschnur für das eigene Handeln zu finden.

 

Es gibt einen weiteren Faktor, der gelegentlich als „ein Problem mehr“ in einer Reihe mit den oben genannten Themen aufgezählt wird. Bei genauem Hinsehen steckt jedoch so viel Potenzial und Energie darin, dass es sich lohnt, sich damit näher zu befassen. Die Rede ist von einem vertieften Verständnis davon, wie Menschen Arbeit begreifen, was sie von ihrer Arbeit erwarten (vielleicht abseits von Lohn) und wie ein Arbeitsraum oder eine Arbeitsumgebung gestaltet sein muss, damit Menschen darin gut arbeiten können.

Lassen Sie mich kurz ausholen: Die unliebsame Seite dieser Debatte wird oft kurz mit der „anstrengenden“ Generation der Millennials (also ab 2000 Geborene) zusammengefasst, die mit so vollständig anderen Anforderungen auf den Arbeitsmarkt strömt, dass es Vertreter zuweilen sprachlos macht. Dieses kleine

Video illustriert das auf überspitzte Art und Weise: https://www.youtube.com/watch?v=Uo0KjdDJr1c

 

Nachdem diese Generation die nächste ist, die auf viele Jahre hinweg wahrscheinlich den Lebensraum Arbeit prägen wird, stellen wir uns die Frage, was diese Generation ausmacht und welche Auswirkungen sie auf die Unternehmen der nächsten Zukunft haben wird. Zum einen ist eine Generation auf den Plan getreten, die völlig ohne Schwierigkeiten Technik in ihren Alltag integriert hat. Das Smartphone ist ein Körperteil geworden wie eine Hand und es scheint eine merkwürdige Forderung zu sein, das Smartphone – selbst für ein Bewerbungsgespräch – einmal wegzulegen. Dazu passt der bereits 2010 erschienen Artikel aus der New York Times, der titelte: „If Your Kids Are Awake, They’re Probably Online“ (https://archive.nytimes.com/www.nytimes.com/2010/01/20/education/20wired.html).

Berührungsängste zur Technik gibt es nicht, damit geht allerdings auch eine gewisse Sorglosigkeit einher. Welche Menschen könnten also besser geeignet sein, um Digitalisierung, Robotik, die neu auszuhandelnde Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine zu bearbeiten?

 

Zum anderen – und das ist wahrscheinlich die größte Herausforderung – ist diese Gruppe von jungen Leuten der Meinung, dass sich die Arbeit ihr anzupassen hat, nicht anders herum.

 

Das ist eine radikale Abkehr von unserem lange anders gelebten Verständnis von Arbeit. Das Überangebot an potenziellen Mitarbeitern auf dem Arbeitsmarkt hat dazu geführt, dass Mitarbeiter oft auch mit eindeutig schlechten Arbeitsumgebungen zurechtgekommen sind und diese Umstände einfach hingenommen haben, weil sie ihre Arbeitsstelle nicht verlieren wollten. Der demografische Wandel bringt mit sich, dass deutlich weniger Arbeitskräfte überhaupt auf dem Markt verfügbar sind, demnach auch weniger passende und für das jeweilige Unternehmen und die Tätigkeit ausgebildete Fachkräfte gefunden werden können – und wenn sie gefunden werden können, ist der Aufwand gestiegen, sie zu behalten. Den Unternehmen wird also auf lange Sicht nichts anderes übrig bleiben, als sich diese zentralen Fragen zu stellen: Welchen Stellenwert hat Arbeit? Wie kann man Arbeitsplätze so gestalten, dass Menschen dort gut arbeiten können? Welche unterschiedlichen Bedarfe und Bedürfnisse haben Unternehmen und Mitarbeiter, und wie kann der Raum dazwischen ausgeleuchtet werden? Von welchen Werten wird die Arbeit getragen, an welchen Werten orientiert sich mein Arbeitgeber?

 

Dass Unternehmen dies schon erkannt und sich auf den Weg gemacht haben, lässt sich an der relativ

jungen Disziplin des Employer Branding erkennen. Hier werden die Fragen beantwortet, die die Millennials haben: Wie wird mein Arbeitstag aussehen, wie „ticken“ meine Kollegen, wie meine Chefs? Welche Unterstützung werde ich bekommen, berufliche, aber auch persönliche Ziele zu erreichen? Wie werde ich mich weiterentwickeln und wie werde ich lernen können? Wie wird mein Arbeitgeber zu mir stehen, wenn ich Probleme habe, überarbeitet bin, erkranke oder Ereignisse in meinem Privatleben zur Folge haben, dass ich nicht zu 100 % einsatzfähig bin? Wie wird meine Arbeitsaufgabe mir Sinn finden helfen? Welche Reichweite haben meine Aufgaben, wie werde ich mit anderen zusammen Ziele erreichen?

 

Diese Fragen sind von der Millennial-Generation längst auf andere Gruppen herübergeschwappt. Unter dem Stichwort New Work befassen sich Arbeits- und Organisationspsychologen, Wirtschaftswissenschaftler und Experten in weiteren Disziplinen mit genau diesen Fragestellungen. Das macht es nötig, darüber nicht „irgendwann“ nachzudenken, sondern jetzt schon. Denn der „Kampf um die besten Köpfe“ hat längst begonnen bzw. er ist mitten im Gange.

 

Selbstverständlich kann man einige dieser Entwicklungen kritisch sehen. In einigen Arbeitsumgebungen ist es nicht oder nicht ohne weiteres möglich, sich beispielsweise über neue Arbeitszeitmodelle, Home Office oder Führen in Teilzeit Gedanken zu machen. In einer Produktionsanlage, wo z. B. Werkzeuge, (Ersatz-)Teile und Rohmaterial bewegt werden müssen, ist Home Office obsolet, solange der gesamte Prozess noch nicht vollständig automatisiert ablaufen kann.

 

Auch sind die Fragen, wo die Grenze ist, was ein Arbeitgeber für einen Mitarbeiter als Gegenleistung (außer Lohn) zu liefern hat, keineswegs beantwortet und es darf durchaus mit einem lachenden und einem weinenden Auge gesehen werden, dass das neue Berufsbild des Feelgood Managers, der es immerhin schon zu einem eigenen Wikipedia-Eintrag geschafft hat (https://de.wikipedia.org/wiki/Feelgood_Manager),

symptomatisch für diese erst halbgare Entwicklung ist.

 

Langfristig liegt in dieser Debatte jedoch eine große Chance: Im Zentrum steht eigentlich die Frage, wie man Arbeit menschlicher machen kann, wie man das gemeinsame Handeln in einem Unternehmen an

menschlichen Zielen orientieren kann. Dieser "Change" ist die wahre Veränderung, die in den nächsten Jahren auf die Wirtschaftswelt zukommt und alle anderen Themen, die anfangs genannt wurden (Digitalisierung, Industrie 4.0.), werden sich dieser Marschrichtung wahrscheinlich auf Dauer unterordnen müssen. Es gab also nie eine anstrengendere, aber auch nie eine bessere Zeit, Entscheidungen am Menschen zu orientieren. Ist das nicht wunderbar?


Unsere Gastautorin Gudrun L. Töpfer ist 1982 im tiefen Bayern geboren. Nach dem Abitur hat sie in Freiburg i. Breisgau Bildungswissenschaften studiert und anschließend einen Master in Psychologie absolviert.

Nach zwei Jahren Schnuppern in einem Start-Up-Unternehmen hat sie selbst den Schritt gewagt und das Wechselwerk gegründet – eine Unternehmensberatung mit dem Schwerpunkt Arbeits- und Organisationspsychologie. Mit ihrem Hintergrund kann sie besonders da helfen, wo es um die schwerer greifbaren Bereich geht, die den „Faktor Mensch“ betreffen: Veränderungsprozesse, exzellente Führung, Motivation und Unternehmenskultur sowie Qualifizierungsprozesse – alles große Herausforderungen für die Unternehmen in unserer dynamischen Zeit.