
Adele und Bernd Kaiser standen vor einer schwerwiegenden Entscheidung. Sie waren mittlerweile 65 Jahre alt und machten sich schon längere Zeit Gedanken darüber, wie sie ihr Lebenswerk – ihr „Baby“ – weiterhin erhalten könnten. Leider hatte keines der Kinder Interesse gezeigt, das Unternehmen zu übernehmen, so dass unklar war, wie es weiter gehen könnte. Die beiden Unternehmer holten sich Rat ein. Ein befreundeter Steuerberater hatte schon einen Plan, wie man die Unternehmensanteile steuersparend übertragen könnte. Allerdings war Adele Kaiser mit dieser Überlegung nicht einverstanden. „Die Firma, das sind doch nicht nur irgendwelche Anteile – das ist ein Stück Lebensgeschichte, mit Tradition, und Zukunft!“
Bernd Kaiser spielte mit dem Gedanken, das Unternehmen an einen geeigneten Unternehmer zu verkaufen. Der Gedanke bereitete ihm jedoch Herzstechen. Er wollte sein Lebenswerk weiterhin in den
Händen der Familie sehen, doch ohne ein geeignetes Management würde dem Unternehmen nur eine kurze Zukunft zu Teil werden. Ein bekannter Unternehmer hatte eine weitere Lösung parat, bei dem das
Unternehmen vor dem Eingreifen der Kinder geschützt wäre. „Das hat aber schon einen negativen Touch – vor den Kindern schützen“, kommentierte darauf ein guter Freund. „Was sagen die eigentlich
dazu?“ Adele und Bernd sahen sich an. Mit den Kindern hatte man darüber noch gar nicht gesprochen…
Ein komplexes System aus Familie, Eigentum und Unternehmen
Ein Familienunternehmen ist ein komplexes System, das aus den Teilsystemen Familie, Eigentum und Unternehmen besteht. Die Nachfolge im Familienunternehmen ist dementsprechend ein diffiziles
Unterfangen, bei dem die unterschiedlichen Interessen der drei Systeme zur Deckung gebracht werden müssen. Dabei erfüllt jedes System zunächst seine eigene Funktion: Das Unternehmen verkauft
Produkte und Dienstleistungen, das Eigentum kontrolliert das Management und genießt den Gewinn, und die Familie „erzeugt“ Kinder und stellt den Kontext dar, in dem sie groß werden. Beratung setzt
oftmals an diesen Einzelfunktionen an. Dementsprechend haben sich Steuerberater, Unternehmensberater, oder Familientherapeuten auf solche singulären Lösungen spezialisiert.
Darüber hinaus hat jedes der Systeme eine Wirkung auf die anderen Systeme. Die Familie stellt für das Management andere Entscheidungskriterien bereit, als dies in Publikumsgesellschaften der Fall
ist. Man fühlt sich zum Beispiel für die Mitarbeiter und deren Familien, oder der Gemeinde, in der man tätig ist, verpflichtet. In Bezug auf das Eigentum stellt die Familie oftmals einen
langfristigen Investitionshorizont bereit, in dem sehr zurückhaltende Gewinnausschüttungen das Unternehmen langfristig stärken. Schlussendlich ist das Unternehmen für die Familie sinnstiftend –
„ein Stück Lebensgeschichte, mit Tradition“, was darüber hinaus für einen Familienzusammenhalt über Generationen sorgt.
Dieser sozio-emotionale Wert wird jedoch allzu leicht verkannt, wenn man nur auf die Funktionsweise eines der Systeme schaut. Dann sind Unternehmensanteile tatsächlich nur Finanzwerte, das
Unternehmen nur eine Ansammlung von wertschöpfenden Ressourcen, die gut gemanagt werden wollen, und die Familie nur der Startpunkt für die Entwicklung des Einzelnen, ohne Tradition oder
Familienidentität. Diese Betrachtung lässt jedoch die Wechselwirkung zwischen den Systemen außer Acht und blendet den sozio-emotionalen Wert des Unternehmens aus.
Unternehmensnachfolge als Optimierung des Gesamtsystems aus Familienunternehmen und Unternehmerfamilie unter Berücksichtigung seines sozio-emotionalen Wertes
Dabei ist klar, dass die Unternehmensnachfolge Lösungen braucht, die langfristig tragfähig sind. Das Unternehmen benötigt eine Managementlösung, die die Wettbewerbsfähigkeit erhält. Die Familie
braucht eine Lösung, die den Familienzusammenhalt stärkt, die Entwicklung des Einzelnen fördert, und Sinnstiftung und emotionale Bindung ermöglicht. Und auf Eigentümerseite muss eine rechtliche
Lösung gefunden werden, die all dieses ermöglicht.
Es geht also bei der Unternehmensnachfolge nicht um die Maximierung der Einzelfunktion von Unternehmen, Eigentum und Familie, sondern um Optimierung des Gesamtsystems
„Familienunternehmen-Unternehmerfamilie“. Und das kann nur im Dialog geschehen, in dem die Interessenslage der Familienmitglieder gemeinsam erkundet werden und mit den Kriterien der anderen
Systeme gespiegelt werden. Hierzu gehört eine emotionale Auseinandersetzung des Einzelnen genauso wie ein Familiendialog, mit dem sich die Familie sich dafür entscheidet, ein Familienunternehmen
zu bleiben. Auf dieser Selbstklärung aufbauend kann dann sowohl eine Managementlösung also auch eine auf die individuellen Befindlichkeiten der Familie zugeschnittene rechtliche Lösung für das
Eigentum gefunden werden.