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Der Mittelstand profitiert von der Stakeholder-Orientierung

VON Prof. Dr. PATRICK PETERS

 

Eine intensiv geführte Debatte der vergangenen Jahre ist der Wandel von der Shareholder- zur Stakeholder-Orientierung. Betriebswirtschaftliche Parameter wie Umsatz oder Gewinn sind als Unternehmenszwecke zweitrangig geworden. Im Fokus steht, dass sich Unternehmen einem großen oder sogar ehrenvollen Zweck widmen. Das passt zum Gedanken der Familienstiftung, die diese Strategie über die Generationen hinweg sichern kann.

 

Die Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft greift immer weiter um sich. Das ist getrieben durch den digitalen und ökologischen Wandel und nicht zuletzt durch die sozioökonomischen Erfahrungen der Covid-19-Pandemie, die als Katalysator für das New Normal (Arbeitswelt, Konsum, Mobilität etc.) gedient hat und immer noch dient. Und schon länger kann man einen generellen Wandel in der wirtschaftlichen Grundausrichtung erkennen. Eine intensiv geführte Debatte der vergangenen Jahre ist der Wandel von der Shareholder- zur Stakeholder-Orientierung.

 

Während das Shareholder Value den Wert eines Unternehmens aus der Sicht der Eigentümer/Anteilseigner ermittelt und de facto ausschließlich deren Interessen im Sinne von Wertsteigerungen und Renditen bedient, bedient das Stakeholder Value nicht nur die Interessen der Shareholder, sondern aller Anspruchsgruppen, ohne deren Unterstützung das Unternehmen nicht überlebensfähig wäre. Die Orientierung auf alle Stakeholder zeigt, dass für den Erfolg von Unternehmen viele Gruppen von Bedeutung sind, die dementsprechend wiederum auch vom Unternehmen profitieren sollen und wollen. Das Shareholder-Konzept hingegen sieht die maßgebliche Instanz allein auf der Ebene der Gesellschafter beziehungsweise Aktionäre, deren höchstem Nutzen das Unternehmen zu dienen hat.

Unser Gastautor Dr. Patrick Peters ist Professor für PR, Kommunikation und digitale Medien an der Allensbach Hochschule in Konstanz und befasst sich als Unternehmensberater (Klare Botschaften), Publizist und Wissenschaftler ausgiebig mit Ethik und Kommunikation.


„The business of business is business“ – wirklich?

 

Bekanntlich geht das Shareholder-Value-Konzept auf den US-Ökonomen und intellektuellen Anführer der Chicago School of Economics Milton Friedman zurück. Er hatte 1970 in der Tageszeitung New York Times seine bekannte Doktrin „The business of business is business“ formuliert und damit das Shareholder Value begründet. Darin befasst er sich auch mit dem Thema der Verantwortung. Der Mensch einer Organisation hat Friedmans Ansicht nach nur Verantwortung beziehungsweise Verantwortlichkeiten, aber weder strebt er etwas Höherem zu noch übernimmt eine Organisation Verantwortung im Sinne einer zweckorientierten Führung. Diese Verantwortlichkeiten zielen allein darauf ab, das Unternehmen wirtschaftlich für die Shareholder erfolgreicher zu machen.

 

Die Aufgabe des Managers besteht darin, so viel Geld wie möglich für eine Unternehmung zu verdienen; ethische beziehungsweise Fragen sind allein unter den Grundsätzen allgemeiner (gesetzlich normierter) Verhaltensregeln zu sehen (Orig. Engl., eigene Übersetzung): „In einem System des freien Unternehmertums und des Privateigentums ist ein leitender Angestellter eines Unternehmens ein Angestellter der Eigentümer des Unternehmens. Er ist gegenüber seinen Arbeitgebern direkt verantwortlich. Diese Verantwortung besteht darin, das Unternehmen in Übereinstimmung mit deren Wünschen zu führen, die im Allgemeinen darin bestehen, so viel Geld wie möglich zu verdienen und dabei die Grundregeln der Gesellschaft einzuhalten, sowohl die gesetzlichen als auch die ethischen.“

 

Shareholder Value kann nicht auf Purpose, Ethik und Nachhaltigkeit basieren

 

Das steht im deutlichen Widerspruch zur Purpose-Debatte. Der Purpose-Begriff steht für den höheren Zweck einer Organisation (in der Regel ein Unternehmen), der im Sinne der wertorientierten Unternehmensführung deutlich über die Gewinnorientierung hinausgeht. Die Purpose-Orientierung stiftet einen übergeordneten Sinn, der nicht durch beiläufige Handlungen zu erreichen ist. Das Gute als Zweck des Lebens ist menschliche Handlungsmaxime und identitätsstiftende Kategorie. Dieses identifikatorische Potenzial hat auch das Purpose im unternehmerischen Kontext.

 

Das kann nur bei einer dezidierten Abkehr vom reinen Shareholder Value gelingen. Denn moderne Leadership-Konzepte wie der Purpose-Gedanke besitzen in diesem Managementsystem keinen Platz, und auch Begriffe wie Ethik und Nachhaltigkeit (freilich in einer anderen Begrifflichkeit aufgrund des Zeitpunkts der Veröffentlichung) spielen keine Rolle. Friedman suggeriert, dass Purpose, Ethik und Nachhaltigkeit vielmehr hinderlich sein können für den Geschäftserfolg, der im Shareholder Value die condition sine qua non ist.

 

Wandel zum Stakeholder Value schon vor Covid-19

 

Zwar wird der Wandel zum Stakeholder Value gerne mit den Erfahrungen der Pandemie zusammengebracht. Aber der US-Management-Denker Hubert Joly hat im Mai 2021 formuliert (Orig. Engl., eigene Übersetzung): „Schon vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie wandte sich eine wachsende Zahl von Unternehmensführern von Milton Friedmans Behauptung ab, dass der einzige Zweck eines Unternehmens in der Maximierung der Rendite für die Aktionäre besteht, und vertrat den Gedanken, dass ein Unternehmen allen Interessengruppen dienen sollte: Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten und Gemeinden sowie den Aktionären. Obwohl es natürlich wichtig war, Geld zu verdienen, konzentrierten sich viele Führungskräfte darauf, warum sie in der Wirtschaft tätig waren und wem sie dienten.“

 

Joly weist deutlich im Rahmen der Stakeholder Value-Diskussion auf die Funktion der Führungspersönlichkeiten hin. Diese sind dafür zuständig, auf die Frage nach dem „Warum“ und den Dienst an sämtlichen Bezugsgruppen zu konzentrieren: Betriebswirtschaftliche Parameter wie Umsatz oder Gewinn sind als Unternehmenszwecke zweitrangig geworden. Im Fokus steht, dass sich Unternehmen einem großen oder sogar ehrenvollen Zweck widmen. Das wiederum unterstützt das Ziel, Geld zu verdienen: Eine konsequente Umstellung auf einen höheren Unternehmenszweck und eine wertorientierte Unternehmensführung kann wiederum dazu führen, dass betriebswirtschaftliche Ziele leichter erreicht werden.

 

Ethik und Nachhaltigkeit spielen eine große Rolle

 

Kategorien wie Ethik, Nachhaltigkeit und Purpose gelten (mittlerweile) als visible Performance-Attributoren und sollten daher in jeder Unternehmensstrategie eine Rolle spielen. Arbeitsplatz- und Kaufentscheidungen, die Bereitschaft zu börslichen und außerbörslichen Beteiligungen, die allgemeine Positionierung am Markt: Alles hängt mehr und mehr mit der Aufstellung hinsichtlich der Ethik und Nachhaltigkeit zusammen. Ein Beispiel: Für die Studie „Nachhaltigkeit lohnt sich – Gesellschaft und Unternehmen im Wandel“ hat die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) die ökologischen und sozialen Dimensionen nachhaltigen Handelns in Unternehmen untersucht (2018). „Eine nachhaltige Ausrichtung kann für Unternehmen auf vielerlei Weise vorteilhaft sein: Dabei geht es um mehr Effizienz, die Steigerung des Unternehmensimages, Mitarbeiterzufriedenheit und auch um größere Chancen bei der Rekrutierung junger Mitarbeiter. Die Studie der LBBW zeigt zudem auf, dass sich Nachhaltigkeit auch bei den klassischen wirtschaftlichen Kennzahlen positiv bemerkbar macht: Nachhaltig agierende Unternehmen der Konsum- und Handelsbranche steigern ihre EBIT-Marge. Sie ist im Durchschnitt 6 Prozentpunkte höher als bei den weniger nachhaltig operierenden Wettbewerbern.“

 

Mittelstand sollte Stakeholder Value als unternehmerische Strategie ansehen

 

Für Unternehmen lohnt sich diese Stakeholder-Orientierung und die Konzentration auf die damit verbundenen Ansätze. Ein ethisches Managementsystem als Grundlage für eine Stakeholder-orientierte Organisation führt auf lange Sicht zu einer stabilen Performance, die damit wiederum einen Shareholder Value schafft. Gerade der Mittelstand sollte dies dringend als unternehmerische Strategie ansehen und weder als Hemmnis auf dem Weg zum Gewinn noch als Spielerei für bereits erfolgreiche Marktteilnehmer oder die Organisationen, die als besonders innovativ und modern gelten wollen, verstehen. Der Weg in eine nachhaltig erfolgreiche Zukunft führt für Unternehmen nur über den Paradigmenwechsel von Shareholder zu Stakeholder Value. Das ist Management- und Leadership-Aufgabe zugleich.

 

Verbindung zur Familienstiftung deutlich

 

Diese Diskussion hat sehr viel mit der Ausrichtung auf eine konsequente Unternehmenskultur zu tun. In dieser finden sich alle Strategien und Maßnahmen zu Ethik und Purpose wieder. Das lässt sich mit der Familienstiftung verbinden. Der nachhaltige Erhalt einer Unternehmenskultur ist im familiengeführten Mittelstand ein entscheidender Aspekt, denn sie steht für Wertschätzung und Stabilität und bietet Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen sicheren Hafen – das erhöht die Arbeitgeberattraktivität. Dies soll natürlich auch nach dem Ausscheiden des Eigentümers gewährleistet werden. Die Stiftung ist ein wesentliches Instrument für die nachhaltige Fortführung und Entwicklung einer auf Werten und Sinnstiftung basierenden Unternehmenskultur über die Generationen hinweg. Schließlich kann die Unternehmensführung, ob familienintern oder angestelltes Management, die großen Leitlinien nicht ändern, die der Stifter-Unternehmer in der Stiftungssatzung festgelegt hat. Kurzum: Die Stiftung sichert Ethik, Purpose und Stakeholder Value in einem Unternehmen.