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Grenzüberschreitende Stiftungs-Strukturen - Internationale Steuerplanung (Teil 1)

Einzelfragen und Problemfälle rund um den Wohnsitz

VON THORSTEN KLINKNER

 

Im internationalen Steuerrecht kommt dem Wohnsitz einer Person eine grundlegende Bedeutung zu. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) ist eine natürliche Person in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig, wenn sie im Inland einen Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthalt hat. Nach § 8 Abgabenordnung (AO) hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung hat, und die Gesamtumstände offenbaren, dass er die betreffende Wohnung beibehalten und sie benutzt wird.


Doppelbesteuerungsabkommen: Der Wohnsitz einer natürlichen Person

Damit folgt das deutsche Einkommensteuerrecht einer international üblichen Praxis, nach welcher dem Wohnsitzstaat einer natürlichen Person das Recht zukommt, die gesamten weltweiten Einkünfte dieser Person zu besteuern (sog. Welteinkommensprinzip). Zu verweisen ist etwa auf Art. 1 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 Satz 1 des OECD-Musterabkommens (OECD-MA, in der aktuellen Fassung aus dem Jahr 2017), dem die meisten deutschen und viele

ausländischen zwischenstaatlichen bilateralen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung folgen.

 

Nach Art. 1 Abs. 1 OECD-MA gilt das OECD-Musterabkommen für Personen, die in einem Vertragsstaat oder in beiden Vertragsstaaten des Musterabkommens ansässig sind. Gemäß Art. 4 Abs. Satz 1 OECD-MA ist eine Person insbesondere dann in einem Vertragsstaat des Musterabkommens ansässig, wenn sie in diesem Staat einen Wohnsitz hat. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, die dem Regelungsbereich eines Doppelbesteuerungsabkommens unterfallen, ist der Begriff „Wohnsitz“ nicht zwingend deckungs- und bedeutungsgleich mit dem deutschen Wohnsitz-Begriff des § 8 AO, denn die Begriffe eines völkerrechtlichen Doppelbesteuerungsabkommens sind autonom auszulegen, d. h. unter Rückgriff auf das

Abkommensrecht und nicht auf das innerstaatliche Recht eines Abkommensstaats.

Gleichwohl bestehen - jedenfalls nach deutschem Rechtsverständnis - keine signifikanten Unterschiede zwischen dem abkommensrechtlichen und dem innerstaatlichen Begriff des Wohnsitzes. In beiden Fällen ist das Innehaben einer Wohnung für die Begründung eines Wohnsitzes in einem Vertragsstaat eines Doppelbesteuerungsabkommens maßgeblich.

 

Abkommensrecht: Der Begriff einer Wohnung

Eine „Wohnung“ ist dabei nicht gleichzusetzen mit dem in der Umgangssprache üblichen Begriff einer Wohnung. Der abkommensrechtliche Begriff der Wohnung setzt weder eine räumlich abgeschlossene Wohneinheit noch eine bestimmte Mindestwohnfläche voraus: Jede Räumlichkeit reicht hier aus, sofern sie für ein bescheidenes Verweilen über die bloße Übernachtungsmöglichkeit hinaus geeignet ist (z. B. ein Wohncontainer, ein Raum im Keller, ein jederzeit nutzbares Zimmer in der Wohnung der Eltern oder der Lebensgefährtin/des Lebensgefährten etc.). Eine tatsächliche Benutzung der betreffenden Räumlichkeit setzt das abkommensrechtliche Begriff der Wohnung nicht voraus. Ausreichend ist bereits die bloße Möglichkeit der Nutzung und die jederzeitige objektive Verfügbarkeit der Wohnung für die betreffende Person. Ein bestimmter zeitlicher Umfang der Nutzung durch diese Person oder weitere Begleitumstände der Wohnungsnutzung sind hingegen nicht erforderlich. Die melderechtliche Registrierung oder ein Umzug einer Person in das Inland ist kein konstitutives Merkmal einer Wohnung im Sinne des Abkommensrechts. Gleichwohl kann eine solche Registrierung bzw. Anmeldung einer Person ein Indiz für das Innehaben der Wohnung durch die betreffende Person im Inland darstellen.

 

Verfahrensrechtlich sollte beachtet werden, dass der inländische Wohnsitz einer Person, bzw. das Innehaben einer Wohnung im Inland, zu sog. steuerbegründenden Tatbestandsmerkmalen in einem Besteuerungsverfahren gehört. Für diese Tatbestandsmerkmale trägt die deutsche Finanzverwaltung die objektive Feststellungslast, d. h. die Finanzverwaltung muss darlegen und beweisen, dass eine Person im Inland einen Wohnsitz im Sinne des

Abkommensrechts bzw. im Sinne des § 8 AO unterhält. Gelingt ihr das nicht, darf der inländische Wohnsitz einer Person nicht einfach unterstellt werden. Der betreffende Beweis eines inländischen Wohnsitzes kann durch Indizien erleichtert werden, wie z. B. durch eine melderechtliche Registrierung einer Person im Inland oder durch Mitwirkungspflichten eines Steuerpflichtigen in einem Besteuerungsverfahren.

 

Eine natürliche Person kann auch mehrere Wohnsitze haben, die auch in verschiedenen Staaten liegen können, indem sie z. B. in mehreren Staaten Wohnungen besitzt. Werden diese Wohnungen nicht vermietet, sondern für eigene Zwecke der betreffenden Person vor-gehalten, begründen die betreffenden Wohnungen nach Art. 1 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA in jedem dieser Staaten einen Wohnsitz und infolgedessen die unbeschränkte Steuerpflicht der betreffenden Person. Es liegt auf der Hand, dass eine solche mehrfache unbeschränkte Steuerpflicht in mehreren Staaten zu einer Doppelbesteuerung von Einkünften einer Person führen kann, da jeder der Wohnsitzstaaten aufgrund des Welteinkommen-Prinzips die gesamten weltweiten Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen besteuern wird.

 

Die sogenannte Tie-Breaker-Rule

Um eine Doppelbesteuerung in Fällen doppelter oder mehrfacher Ansässigkeit einer Person zu vermeiden, sieht Art. 4 Abs. 2 OECD-MA eine Kollisionsbestimmung (sog. Tie-Breaker-Rule) vor. Danach gelten folgende abgestufte Bestimmungen der Ansässigkeit einer Person, die zur Anwendung gelangen, wenn die betreffende Person in beiden Vertragsstaaten als ansässig gilt:

  1. Zuerst ist auf die ständige Wohnstätte dieser Person in einem Vertragsstaat abzustellen, Art. 4 Abs. 2 lit. a HS 1 OECD-MA.
  2. Verfügt die betreffende Person in beiden Vertragsstaaten über einen Wohnsitz, ist auf den sog. Mittelpunkt der Lebensinteressen dieser Person abzustellen, Art. 4 Abs. 2 lit. a HS 2 OECD-MA.
  3. Hat eine Person in keinem Vertragsstaat eine ständige Wohnstätte oder einen Mittelpunkt der Lebensinteressen, oder ist eine ständige Wohnstätte und der Mittelpunkt der Lebensinteressen der betreffenden Person nicht zu ermitteln, gilt diese Person in dem Staat ansässig, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, Art. 4 Abs. 2 lit. b OECD-MA.
  4. Liegt der gewöhnliche Aufenthalt einer Person in beiden Vertragsstaaten oder in keinem Vertragsstaat, ist schließlich auf die Staatsangehörigkeit dieser Person abzustellen, Art. 4 Abs. 2 lit. c OECD-MA.
  5. Hat die betreffende Person die Staatsangehörigkeit beider Vertragsstaaten oder keines Vertragsstaats, entscheiden zuletzt zuständige Behörden betreffender Vertragsstaaten in einem Verständigungsverfahren, in welchem Vertragsstaat diese Person als unbeschränkt steuerpflichtig zu behandeln ist, Art. 4 Abs. 2 lit. d OECD-MA.

Unter einer „ständigen Wohnstätte“ im Sinne Art. 4 Abs. 2 lit. a HS 1 OECD-MA, vergleichbar mit dem Begriff des Wohnsitzes im Sinne § 8 AO, ist eine Räumlichkeit zu verstehen, die der betreffenden Person jederzeit und nicht nur vorübergehend zur Verfügung steht. Der Begriff der „ständigen Wohnstätte“ ist deshalb enger als der Begriff des Wohnsitzes im Sinne Art. 4 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA.

 

Unter dem „Mittelpunkt der Lebensinteressen“ gemäß Art. 4 Abs. 2 lit. a HS 2 OECD-MA wird allgemein der Lebensmittelpunkt einer Person in einem Vertragsstaat verstanden. In der Praxis entscheidet gerade der Lebensmittelpunkt über die Ansässigkeit einer natürlichen Person in einem Vertragsstaat, sofern die betreffende Person in beiden Vertragsstaaten über eine ständige Wohnstätte verfügt. Bei einer verheirateten Person liegt der Lebensmittelpunkt in aller Regel am Ort, an dem die Familie der betreffenden Person wohnt.

 

Bei einer unverheirateten Person wird es regelmäßig der Ort sein, von dem sie ihrer ständigen Tätigkeit nachgeht. Die Anknüpfungen auf den Wohnsitz der Familie oder auf den Wohnort bei einer ständigen Tätigkeit stellen Vermutungsgrundsätze dar, die vom betroffenen Steuerpflichtigen in der Praxis allerdings nur in Ausnahmefällen entkräftet werden können.

 

Der „gewöhnliche Aufenthalt“ nach Art. 4 Abs. 2 lit. c OECD-MA ist ein auf Wiederholung angelegter Aufenthalt von einer bestimmten Mindestdauer, die zwischen mehreren Monaten und einem Jahr liegen kann. Wobei in der Praxis regelmäßig auf einen Aufenthalt von mehr als sechs Monaten abgestellt wird. Die Bestimmung, oder genauer der Nachweis, des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person obliegt der Finanzverwaltung, und kann dieser erhebliche Schwierigkeiten bereiten, wobei auch hier auf Indizien und auf die Mitwirkung des betreffenden Steuerpflichtigen zurückgegriffen wird. Einzelfragen und Problemfälle des gewöhnlichen Aufenthalts behandeln wir eingehend im nächsten Stifterbrief.

 

Der Wohnsitz einer natürlichen Person kann auch für weitere wichtige steuerlicheTatbestandsmerkmale, welche in den nachfolgenden Stifterbriefen zu grenzüberschreitenden Stiftungs-Strukturen behandelt werden, wie z. B. für den Ort der Geschäftsleitung einer Stiftung, die zentrale Bedeutung entfalten.

 

Weiterführende Artikel:

https://www.unternehmerkompositionen.com/auslaendische-stiftungen-und-deutsche-immobilien/

 

https://www.unternehmerkompositionen.com/repertoire/familien-stiftung/liechtensteiner-stiftung/

 

https://www.unternehmerkompositionen.com/repertoire/familien-stiftung/grenzueberschreitendes-stiftungsmanagement/